Die Olympischen Spiele 1972 in München – Interview mit Dr. Hans-Jochen Vogel

Interview mit Dr. Hans-Jochen Vogel am 24. 10. 2016, gekürzt


Fr. Klessinger mit Annegret Schäffler und Niklas Manurung, Herr Menzel mit Deborah und Arthur von Schulenburg
(Das Interview wurde von Niklas Manurung und Anne Schäffler aufgenommen und niedergeschrieben und von Frau Klessinger Korrektur gelesen, leicht bearbeitet und gekürzt.)

 



Herr Dr. Vogel begrüßt die Lehrkräfte und die Schülerinnen und Schüler und beschreibt die Situation Münchens 1972:
Im Jahr 1972 hatte München 1,3 Millionen Einwohner, Rio hatte zum Vergleich bei den Spielen 6,8 Millionen Einwohner. München hatte für die Entscheidung und für die Erstellung der Bewerbung 63 Tage Zeit, weit weniger als Rio de Janeiro. Die Olympischen Spiele in München kosteten den Bund, den Freistaat Bayern und München 1.972.000.000 DM (also ca. 1 Mrd. Euro). Die Sommerspiele in Rio de Janeiro kosteten mit 4,56 Milliarden Dollar  51 Prozent mehr als geplant.

Annegret: Bei der Podiumsdiskussion sprach  Prof. Auer davon, dass das Projekt nur aufgrund der massiven politischen Unterstützung der Stadt und der der Regierung möglich war. Wie ist Ihre Meinung dazu?

Herr Dr. Vogel:

Unterstützung ist milde ausgedrückt, wir, also die Stadt, haben uns beworben. Ich musste innerhalb kürzester Frist die Frage der Bewerbung klären. Die Spiele werden von Städten nicht von Ländern ausgetragen, wir hatten die volle Unterstützung des Freistaates Bayern  schon in den ersten Tagen. Sie müssen daran denken, wir haben uns 20 Jahre nach dem 2. Weltkrieg beworben, der von uns ausgelöst wurde und mit dem wir den Nachbarn Schlimmes zugemutet haben. München war als Hauptstadt der Bewegung im  Nationalsozialismus bekannt. Dass unsere Stadt die Olympischen Spiele übertragen werden könnten würde, war deshalb für uns unvorstellbar. Damals kam aber der Präsident des Nationalen Olympischen Komitees Willi Daume, und fragte mich, ob ich fest im Stuhl sitzen würde: „(…) Ich habe einen Vorschlag der Sie erstaunen wird: Bewerben Sie sich für die Olympischen Spiele!“ Ich sagte: „Herr Daume wenn Sie meinen, dass es beim IOC nicht ausgeschlossen ist, den Zuschlag zu erhalten, werden wir es uns überlegen, Sie bekommen unsere Antwort in drei Tagen.“

Ich besprach mich dann mit meinen engsten Kollegen. Bereits nach drei Tagen entschieden wir, den Versuch zu wagen. Ein wichtiges Argument für eine Bewerbung war das Freigelände des Oberwiesenfeldes, wesentliche Einrichtungen waren nur 4 km vom Stadtzentrum entfernt. Man sprach von den Olympischen Spielen der „kurzen Wege“. . Im Zentrum unserer Bewerbung stand von Anfang an die Verbindung von Sport, Kunst und Kultur. Auch Bundeskanzler Ludwig Erhardt stimmte zu und die Bürger Münchens standen von Anfang an  hinter der Bewerbung. Ich habe die Spiele in Rio nur in der Zeitung verfolgt, der Unterschied war groß. Wir hatten in München noch Olympische Spiele im Sinne Coubertins, der ökonomische Aspekt spielte damals eine untergeordnete Rolle.

Deborah: In Rio waren sehr viele Bürger und auch Institutionen gegen die Spiele. Meinen Sie, dass die Politik heutzutage mehr kritisiert wird als damals?

Herr Dr. Vogel:
Ja, die Neigung die Politik mehr zu kritisieren ist auch bei uns ausgeprägt. Wer den zweiten Weltkrieg miterlebt hat, für den ist diese Haltung  schwer verständlich. Wenn man etwa bedenkt, wo wir 1945 standen und wo wir heute stehen. München wollte sich für Winterspiele bewerben. Beim Bürgerentscheid, der vom Stadtrat selbst initiiert wurde,  wurde diese Bewerbung mit 51% abgelehnt, in Garmisch lagen die Zahlen sogar höher. Auch in Hamburg entschieden sich die Bürger gegen eine Bewerbung. Dies sollte aber vor allem dem IOC Anlass zum Nachdenken geben, gerade unter dem angesprochen Kritikpunkt der Ökonomisierung der Olympischen Spiele. Das soll jedoch keine Kritik an den Spielen in Rio de Janeiro sein. Gerade die Paralympics wurden sehr ernst genommen. Aber der Charakter Olympischer Spiele insgesamt hat sich nicht zum Guten verändert.

Herr Menzel: Sie haben die Spiele der kurzen Wege angesprochen. Waren es auch die Spiele der kurzen Entscheidungen?


Herr Dr. Vogel:
Es blieb uns gar nichts anderes übrig, die Frist war unglaublich kurz, die anderen Bewerber hatten ja viel längere Fristen. Aber die Entscheidungenwaren  richtig, in kurzer Zeit kann man vielleicht nicht so viel falsch machen, wie in langer Zeit.

Annegret: Glauben Sie, München hätte sich auch ohne die Olympischen Spiele weiterentwickelt?

Herr Dr. Vogel:
Ja, aber durch die Spiele sind Projekte dazu gekommen, oder rascher verwirklicht worden. Wir hatten damals die Entscheidung für den Ausbau des Schienenverkehrssystems bereiter getroffen, also eines U-Bahn- und S-Bahn-Netzes mit Vorortlinien und Tunnel. Die Baumaßnahmen waren auch schon im Gange. Auch beim Straßennetz ist einiges geschehen. Es sind auch 6000 Wohnungen zusätzlich entstanden sowie drei Schulen. Ganz wesentlich war aber, dass München mit dem Olympiapark und dem Stadion als Kern des Parks um ein Stadtelement bereichert worden ist, das man ohne weiteres mit dem Englischen Garten vergleichen kann. Etwas Fundamentales war, dass wir der Welt ein Bild von München, von Deutschland vermitteln konnten, das sich vollständig von dem Bild der Spiele 1939 unter Hitler unterschied. Der Welt boten sich 1972 ein demokratisches und friedliches Deutschland und heiteres München dar. Das hat angedauert bis zum 5. September, als der Terroranschlag auf die israelische Mannschaft stattfand. Es war richtig, dass die Spiele weiter gingen, da man sonst ihr Schicksal in die Hände von Terroristen gelegt hätte. Der Anschlag war früh morgens, am Ende kam zunächst die Meldung, alle Geiseln seien gerettet, was sich als furchtbarer Irrtum herausstellte. Keine der Geiseln hat das Attentat überlebt.

 

Artur: Sie haben ja am Anfang die Kommerzialisierung angesprochen, finden Sie es überhaupt noch sinnvoll,  die Olympischen Spiele wie sie heute sind, weiterzuführen?

 

Herr Dr. Vogel: Die Idee könnte wieder eine Zukunft haben. Ich kann nicht sagen, ob es gut in Megastädten wie Rio ist, wo eine große soziale Kluft herrscht und ob man durch die Spiele beispielsweise sinnvoll etwas für die Favelas tun könnte.

 

Deborah: Wir haben die Armee auf der Straße gesehen, auch Buslinien  waren verändert, mancherorts waren sie sogar eingestellt. Die Favelas in der Südzone waren weniger geschädigt,

 

Herr Dr. Vogel: Wir hatten strukturelle  Vorteile, beispielsweise, dass im Olympiapark alle wesentlichen Einrichtungen in Verbindung miteinander standen.  Das Stadion war der Kern der Bewerbung, der Fernsehturm war damals schon im Bau. Bezüglich des Daches war es anfangs fraglich, ob es überhaupt  statisch  möglich sei. Die Jury entschied sich nach langen Beratungen dennoch für das Projekt von Behnisch. Eine Gesellschaft muss die Kraft haben auf kulturellem Gebiet  auch einmal etwas ganz Außerordentliches und Riskantes zu versuchen.

 

Frau Klessinger: Wir hatten Herrn von Brunn bei unserer Podiumsdiskussion zu Gast. Er ist ja für die SPD im Landtag und hatte sich damals gegen die Winterspiele ausgesprochen. Erstens wegen der von Ihnen bereits angesprochenen Kommerzialisierung und zweitens auch aufgrund der fehlenden ökologischen Nachhaltigkeit.


Herr Dr. Vogel
: Also, die ökologischen Fragen sind ja eigentlich mehr in Garmisch und in Ruhpolding aufgetreten. Mir schien das, was für Garmisch vorgeschlagen worden war akzeptabel. Im Übrigen erschien es mir sogar so, dass Garmisch daraus noch einen Nutzen ziehen könnte, unter ökonomischen Gesichtspunkten, für die dort jedes Jahr stattfindenden Meisterschaften. Aber das ist Geschichte!

 

Herr Menzel: Da hätte ich jetzt eine Frage! Wir sehen ja durch die Bewerbungsvorhaben von Hamburg und München-Garmisch, dass immer mehr Bürgerentscheidungen in unserer demokratischen Gesellschaft gewollt sind. Wie könnte man es heutzutage schaffen, sowohl den Bürger mitzunehmen, als auch einen visionären Geist walten zu lassen? Dass man dem Bürger beibringt, wir haben eine Idee und vertraut uns ein bisschen.

 

Herr Dr. Vogel: Einspruch! Den Volksentscheid gibt es in Bayern seit 1946. Wir waren das erste Land, dass nach der Katastrophe und dem Krieg in der Verfassung, im Dezember ’46 den Volksentscheid eingeführt hat, von dem in Bayern immer wieder Gebrauch gemacht worden ist. Und seit etwa 20 Jahren gibt es den Bürgerentscheid auch auf der Gemeindeebene. Also der Bürgerentscheid und der Volksentscheid sind jedenfalls in Bayern nichts Neues! Und es ist ja so, dass der Bürgerentscheid nicht nur von einer Bürgergruppe herbeigeführt werden kann, sondern auch vom Stadtrat. Das nennt man dann Ratsbegehren! Die Entscheidung, die bei den Winterspielen maßgebend war, ist vom Stadtrat herbeigeführt worden.

 

Frau Klessinger: Herr Hartung äußerte sogar die Angst, bzw. die Vermutung, dass die olympischen Spiele irgendwann nur noch in autoritären Staaten stattfinden werden. Bei der Podiumsdiskussion haben wir dann auch davon gesprochen, dass man die Spiele wieder verkleinern müsste, sozusagen „Entkommerzialisieren“. Ist das eine Utopie?

 

Herr Dr. Vogel: Entkommerzialisierung, ja! Aber nur noch in Diktaturen, nein! Also das wäre ein Todesurteil für die Spiele. Da kann ich nur sagen, bevor man darüber redet und entscheidet: Schaut nochmal in die Dokumente von Coubertin!

 

Herr Menzel: In den 70er Jahren, gab es ja den Ost-West-Konflikt und wenn ich mich richtig erinnere, waren die Welt-Fest-Jugendspiele in Ost-Berlin. Ich glaube, dass die 1973 waren, wenn ich richtig informiert bin. War es auch eine Möglichkeit für Deutschland, sich durch 1972 da zu positionieren? Oder ging es da wirklich nur um die sportliche Komponente für München?

 

Herr Dr. Vogel: Natürlich ging es, wie ich vorhin schon sagte, um den Unterschied zwischen den Spielen unter Hitler und den Nazis 1936 und unseren Spielen 36 Jahre später. Und dieser Unterschied war  ja so deutlich und wahrnehmbar, dass er auch von allen verstanden worden ist! Darum ging es! Es ging nicht darum, der DDR zu zeigen, wir können so etwas besser. Es ist ja auch das erstmalige Auftreten der DDR mit eigener Mannschaft, Fahne und  ihrer Hymne auf westdeutschem Boden ohne Anstoß abgelaufen. Das hing auch mit der Ostpolitik von Willy Brand  und der von Genscher zusammen. Also, von daher würde ich sagen, wir haben die Spiele nicht als etwas genommen, um damit zu zeigen wir wären besser als unsere kommunistischen Antipoden, sondern wir sind ganz anders als unsere Nazi-Vergangenheit! Das wollten wir deutlich machen!

 

Herr Menzel: Würden Sie zustimmen, dass die Spiele heute immer mehr unter dem Einfluss von politischen Auseinandersetzungen stehen? Also, wir hatten jetzt in Rio de Janeiro die Situation, dass der ganze Verband der russischen Leichtathleten flächendeckend wegen Doping gesperrt wurde!

 

Herr Dr. Vogel: Das IOC hat aber nicht die Russen insgesamt gesperrt, sondern  für jeden Einzelnen eine Möglichkeit offen gelassen, dass er teilnehmen kann und es ist ja dann auch eine russische Mannschaft mit Fahne und Hymne dabei gewesen. Der Vorstand von den Paralympics, die haben die Russen ausgeschlossen!

Ich selber maße es mir nicht an, zu sagen, dass dies die bessere Entscheidung war und  will mich auch  nicht zum Richter über Herrn Bach aufwerfen! Gewundert habe ich mich allerdings, dass Herr Bach bei der Eröffnung der Paralympics nicht anwesend war. In den Zeitungen stand, weil er sonst von der brasilianischen Staatsanwaltschaft oder Polizei zu einem Gespräch gebeten worden wäre.

 

Herr Menzel: Es war kein deutscher Politiker bei den olympischen Spielen zugegen! Es gab keine Delegation! Bei den ganzen olympischen Spielen! Herr Gauck hat abgesagt wegen einer Zahnoperation und ansonsten war auch keine deutsche Delegation von Abgeordneten oder Ministern zugegen. Auch der Innenminister de Maizière nicht!

 

Herr Dr. Vogel: Das habe ich nicht mitbekommen! Herr De Maizière war auch nicht da? Das wundert mich! Allerdings, das brasilianische Staatsoberhaupt war 1972 in München auch nicht dabei!

Annegret: Können Sie sich noch an die olympischen Spiele 1936 erinnern?

Herr Dr. Vogel: Da war ich 10 Jahre alt und habe es am Radio ein bisschen mitverfolgt. Es gab dann auch noch einen Film! Insbesondere an Jesse Owens, erinnere ich mich noch, 100 m und 200 m Lauf  und im Weitsprung. Trotzdem hat Hitler, der wenn er anwesend war, die Gewinner der Goldmedaillen zu sich in seine Loge kommen ließ, ihm nicht gratuliert, weil er ein Schwarzer war!

Das Regime versuchte dann zu erklären, warum ein Schwarzer schneller laufen und weiter springen konnte als ein Arier. Da hieß es dann sinngemäß, die seien halt den Tieren näher als wir! Und die Tiere liefen halt schneller, als eben die Menschen! Das war purer Rassismus!

 

Niklas: Darf ich Sie, weil Sie ja die Rassen angesprochen haben, fragen: Ich glaube, es waren Olympische Spiele, wo zwei Schwarze den zweiten Platz gewonnen haben und das Zeichen von Black Pride, diese Faust nach oben gestreckt haben? Was halten Sie davon? Die beiden wurden dann suspendiert, weil sie ein politisches Zeichen von sich gegeben haben.

 

Herr Dr. Vogel: Ich bin schon der Meinung, dass man die Spiele von unmittelbaren politischen Aktivitäten freihalten muss! Wenn die einen sagen, unser Zeichen ist dies,  dann hat der nächste ein vergleichbares Zeichen und dann treten diese womöglich gegeneinander in Erscheinung, weil der Gewinner der Bronze-Medaille eine andere politische Auffassung hat als der der Gold-Medaille. Das gehört nicht zu den Spielen! Jeder Teilnehmer kann ja seine Meinung in anderer Weise äußern. Der kann sich auf den Marktplatz stellen und da eine Rede halten, aber nicht die Spiele dazu missbrauchen! Das gehört nicht zu den Spielen!

 

Annegret: Sie haben damals, nach dem Attentat die Trainer und die israelischen Opfer zurück nach Israel begleitet. Wie war die Atmosphäre da? Und wie ist das abgelaufen?

 

Herr Dr. Vogel: Also, an Bord waren die 11 Särge mit den ermordeten Geiseln. Und es war ein Freitag. Es war der 7. September und die Trauerfeier fand in Tel Aviv auf dem Flughafen statt. Golda Meir, die damalige Ministerpräsidentin Israels, war von dem Anschlag so schockiert, dass sie nicht selber kommen konnte. An ihrer Stelle sprach ihr Vize Yigall Allon. Daran schlossen sich die Totenklagen der beiden Oberrabbiner an.  Dann wurde die Feier mit ihren religiösen Gebeten und Gesängen gestaltet. Diese Stunden gehören zu den Dingen, die man sein Leben lang nicht vergisst. Zudem hatte ich die Menschen, die jetzt in den Särgen lagen, mit eingeladen nach München! Aber es sind, bei dieser Gelegenheit keine Vorwürfe erhoben worden! Auch sonst hat sich Israel mit konkreten Vorwürfen sehr zurückgehalten.

Es müssen dabei zwei Dinge unterschieden werden. Das eine war das Sicherheitskonzept für die Spiele insgesamt. Das haben wir an allen teilnehmenden Nationen zur Kenntnis gebracht. Dagegen wurde keiner Seite Bedenken erhoben!  Auch von Israel nicht!

Ernsthafte Fehler gab es hingegen beim Befreiungsversuch auf dem Flughafen in Fürstenfeldbruck und zwar hauptsächlich deswegen, weil die mit solchen Terror-Anschlägen noch keinerlei Erfahrung hatten. Die GSG9 ist aufgrund  dieser Erfahrung gegründet worden und hat 5 Jahre später in Mogadischu die „Landshut“ befreit, ohne, dass eine einzige Geisel das Leben verloren hat oder verwundet worden wäre. Da gibt es auch einen Zusammenhang!

 

Herr Menzel: Sie haben ja jetzt gerade die Gründung der GSG9 unter Wegner angesprochen. Würden Sie sagen, dass die BRD durch diesen Anschlag des Schwarzen Septembers “erwachsen” geworden ist? Auf negative Weise, aber, dass sie gemerkt hat, zu einer Demokratie gehört auch wehrhaft zu sein, auch militärisch vielleicht? Auch wenn man es eigentlich nicht will?

 

Herr Dr. Vogel: Militärisch wehrhaft war die Bundesrepublik ja damals schon. Es gab ja bereits die  Bundeswehr mit rund 500 000 Soldaten. Im Polizeibereich war das hingegen ein Anstoß, weil wir lernten dass derartige Terroranschläge auch auf deutschem Boden geschehen können. Und da hat die Bundesregierung die richtige Konsequenz gezogen mit der Errichtung der GSG9.

 

Deborah: In Brasilien macht man sich ein bisschen Sorgen, dass die Stadien und das olympische Dorf, alles nach einer Zeit alt aussieht. Wir waren ja diese Woche im Olympiadorf und haben gesehen, dass alles schön ist und neu aussieht! Wie macht man das alles so nachhaltig?

 

Herr Dr. Vogel: Ich freue mich über ihr Urteil! Wenn man aber  mit meinen Vorkenntnissen dort hinkommt und sieht, dann gibt es schon Einiges, was ich nicht für unbedingt notwendig gehalten hätte. Unterhalten und betrieben werden der Park und das Stadion von der Stadt. Die Kosten werden zum Teil durch die Veranstaltungseinnahmen gedeckt, ein anderer Teil sind städtische Zuschüsse, die sich aber durchaus im Rahmen halten. Übrigens  hat sich kürzlich eine Gruppe gegründet, die möchte, dass der Park als Weltkulturerbe anerkannt wird. Es wird ja niemanden überraschen, dass ich das unterstütze! Auch deswegen, weil der Status des Weltkulturerbes, über den Denkmalschutz hinaus eine zusätzliche Sicherung des Olympiaparks bieten würde!

 

Frau Klessinger: Haben Sie die Sorge, dass der Olympiapark gerade durch den Titel „Weltkulturerbe“ noch stärker zum Touristenmagnet wird und eine stärkere Kommerzialisierung stattfindet?

 

Herr Dr. Vogel: Die habe ich nicht! Denn der Park ist sehr aufnahmefähig und macht eigentlich nie den Eindruck, dass er überlaufen oder verstopft sei. Im Gegenteil! Diejenigen, die mit dieser Idee nicht sympathisieren, die sagen ja umgekehrt, dass man es deswegen nicht machen sollte, weil man sich damit die Möglichkeit nimmt, durch bestimmte Veranstaltungen das Defizit der Stadt noch ein bisschen zu verringern.

Eine interessante Phase gab es in diesem Zusammenhang in den Jahren vor der Fußballweltmeisterschaft 2006. Da hat ein gewisser Herr Beckenbauer gesagt: “ Wir brauchen für den  Fußball einen Dampfkessel und nicht ein Stadion, wo sich der Beifall und das Rufen der Menschen durch die offenen Seiten verläuft! Da muss eine Wand hochgezogen werden! Am Besten wird das Stadion abgerissen und durch einen Neubau ersetzt. Es wird sich doch wohl ein Terrorist finden, der dieses Stadion in die Luft sprengt!” Da muss er schon einen schlimmen Aussetzer gehabt haben.

Tatsächlich gab es dann Absichten, das Stadion im Beckenbauerschen Sinn etwas zu verändern. Deshalb bildete sich eine Bürgerinitiative, die dem entschieden widersprochen hat und auch ein Bürgerbegehren für die Erhaltung des Stadions in Gang setzte. In der entscheidenden Stadtratssitzung hat dann ein Experte dargelegt, dass der geplante Umbau technisch gar nicht möglich sei. Daraufhin hat Christian Ude, einer meiner Nachfolger als OB gesagt: “Gut, dann konzentrieren wir uns auf ein neues Fußballstadion!”

Herr Menzel: Herr Dr. Vogel, vielleicht eine letzte Frage noch!

 

Herr Dr. Vogel: Wirklich nur noch eine?

 

Herr Menzel: Die letzte! Sie waren Oberbürgermeister hier in München. Später regierender Bürgermeister in Berlin! Wenn Sie diese beiden Städte jetzt vergleichen würden, in welcher Stadt würde es mehr Sinn machen, sich für weitere olympische Spiele in Deutschland zu bewerben?

Herr Dr. Vogel: Zunächst einmal fand ich, dass die Hamburger Bewerbung vernünftig war! Scholz, der dortige Bürgermeister ist ja auch ein sehr vernünftiger Mann. Auch Berlin könnte „entökonomisierte“ Coubertinsche Spiele anbieten. Für München, käme allerdings einmal eine weitere Bewerbung um die Winterspiele in Frage! Dass sich eine Stadt ein zweites Mal Sommerspiele ins Auge fasst, würde ich eher für überheblich halten.

 

Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für das Interview genommen haben! Besonders weil der Termin auch so kurzfristig war! Es war für uns ein wirkliches Privileg, ein Interview mit Ihnen führen zu dürfen, Herr Dr. Vogel und uns hat es sehr gefreut, dass auch unsere brasilianischen Gäste und Freunde dabei sein konnten!

 

Hintergrundinformationen:

Hans-Jochen Vogel (* 3. Februar 1926 in Göttingen) ist ein deutscher Politiker (SPD). Vogel war von 1960 bis 1972 Oberbürgermeister von München, von 1972 bis 1974 Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, danach bis 1981 Bundesminister der Justiz und im Jahr 1981 Regierender Bürgermeister von Berlin. Nach dem Ende der Kanzlerschaft Helmut Schmidts war er Kanzlerkandidat der SPD bei der Bundestagswahl 1983, scheiterte jedoch gegen die neu formierte Koalition aus CDU/CSU und FDP. Von 1987 bis 1991 war er als Nachfolger Willy Brandts Parteivorsitzender der SPD und von 1983 bis 1991 in der Nachfolge Herbert Wehners Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion.
Die Idee, München zum Austragungsort der Olympischen Sommerspiele zu machen, stammte von Willi Daume, dem Präsidenten des Nationalen Olympischen Komitees. Am 28. Oktober 1965 teilte er dem Münchener Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel seine Pläne mit. Viele Mitglieder des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) seien nach der Anerkennung einer eigenen Olympiamannschaft der DDR bereit, sich für die Bundesrepublik Deutschland einzusetzen. Die Aussichten, die Spiele ins eigene Land zu holen, seien deshalb gut, aber in Frage käme dafür nur München. Hans-Jochen Vogels Einwand, München besitze praktisch keinerlei Anlagen für Olympische Spiele, entgegnete Willi Daume mit der Feststellung, dies sei eher ein Vorteil, weil das IOC lieber neue Stadien sehe als alte. Dem Oberbürgermeister war schnell klar, dass München damit eine große Chance geboten wurde.

Im Falle eines Erfolges würden auf die Stadt eine sechsjährige Phase enormer Belastungen und hoher finanzieller Aufwand zukommen. Auf der anderen Seite würden aber in einem kurzen Zeitraum und mit einem festen Fertigstellungstermin viele neue Anlagen geschaffen, welche die Stadt seit langem benötige. Da die Austragung der Olympischen Spiele in München also eine zusätzliche Schubkraft für die Entwicklung der Stadt bedeuten würde, sprach sich der Oberbürgermeister für die Bewerbung aus. Binnen weniger Tage folgte die Zustimmung des Bundes, des Landes, des Nationalen Olympischen Komitees und schließlich die des Stadtrats. Die Bewerbung wurde am 31. Dezember 1965 eingereicht, obwohl das IOC die Frist auf Bitten aus Wien, Amsterdam und Detroit bis zum 20. Januar 1966 verlängert hatte. Während der 65. IOC-Sitzung in Rom fiel am 26. April 1966 die Entscheidung. Zur Wahl standen Detroit, Madrid, Montreal und München. 61 stimmberechtigte IOC-Mitglieder waren anwesend; um ein endgültiges Ergebnis zu erzielen, mussten mindestens 31 Mitglieder für eine Bewerberstadt stimmen. Vor der Entscheidung stellten sich die Bewerberstädte mit je einem Kurzfilm und einer Rede vor. Hans-Jochen Vogel sprach sechs Minuten lang frei auf Englisch, Willi Daume drei Minuten lang auf Französisch. Beide konnten sich so gegen die abgelesenen Reden ihrer Mitbewerber durchsetzen. Dr. Vogel lebt mit mittlerweile 90 Jahren in der Seniorenresidenz Augustinum in München. (Quelle: Wikipedia)

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